Ausgabe 8 · März 2009

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Autofrei im Alltag – je ein Interview mit einer Mutter aus der Schweiz und aus Deutschland

Interview mit Carola Eckstein

Carola Eckstein (36) ist Mathematikerin und arbeitet als Ingenieurin (baut Autos). Sie kommt ursprünglich nicht aus dem Schwabenland, fährt gerne Fahrrad, geht manchmal Rudern, verreist so oft es geht, durchaus auch gerne mit dem Fahrrad, ansonsten mit der Bahn und/oder zu Fuß …

Wieviele Menschen leben in deiner Familie? Welches Alter haben sie?

Meine eigentliche »Familie« besteht wohl nur aus mir (36) und meiner Tochter Lisa (bald elf). Seit inzwischen gut drei Jahren wohnen wir aber in einer WG, zusammen mit jeweils einem Au-pair-Mädchen oder -Jungen und drei weiteren Personen (alle um die 30).

Wo wohnst Du? Bitte beschreibe ein bisschen deine Stadt!

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Bild 1: Stuttgart Autostadt
Von: Malte Plath

Wir wohnen mitten in Stuttgart, der Autostadt schlecht hin. Allerdings beklagen sich auch Autofahrer über die planlose Verkehrsführung. Ich glaube durchaus nicht zu Unrecht. Die Stadt hat einfach kein Verkehrskonzept, zum Nachteil aller Beteiligten. Und Fahrradfahrer sind sowieso nicht vorgesehen. Fahrradfahren mit Kindern ist eine echte Herausforderung, nicht nur, aber durchaus auch wegen der vielen Hügel. Für's Übrige ist's halt sehr schwäbisch und insgesamt von überschaubarer Größe. Ein Vorteil dieser Stadt ist sicher, dass man sehr schnell raus kommt.

Was sind deine alltäglichen Transportbedürfnisse?

Ich muss zur Arbeit und zurück und Lisa muss in die Schule kommen. Da wir recht zentral wohnen, können wir fast überall hin laufen, haben es nicht weit zum Bahnhof und sind gut versorgt mit Bus und Bahn. Insbesondere kann Lisa praktisch alles wo sie so hin muss alleine erreichen.

Inzwischen haben wir den Luxus eines einkaufenden Mitbewohners (mit Auto). Außerdem bekommen wir wöchentlich eine Gemüsekiste geliefert die schon einen nennenswerten Teil unseres Bedarfs abdeckt. Ohne den WG-Einkaufsservice würde ich vermutlich auch Getränke liefern lassen. d. h. Einkäufe habe ich nicht viele zu transportieren und wenn ich doch mal was einkaufe, dann meistens im Edeka hier ganz in der Nähe (von uns aus Berg 'rauf, d. h. mit den Einkäufen kann man dann runter rollen).

Welche Transportmittel benutzt Du und wie oft? Wie war das damals, als deine Tochter kleiner war? Hattest Du jemals ein Auto?

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Bild 2: Stuttgart Autostadt
Von: Malte Plath

Zur Arbeit fahre ich (je nach Wetter) mit dem Fahrrad oder der U-Bahn. Sonst laufe ich viel und fahre mit dem Bus. Lisa fährt mit der U-Bahn zur Schule. Ein Auto hatte ich nie, aber als Lisa noch kleiner war, haben wir in Kehl gewohnt: eine typische Kleinstadt mit viel Fußgängerzone und ohne Hügel. Dort war ich fast ausschließlich mit dem Fahrrad oder mit den Inlinern unterwegs und Lisa konnte auch überall problemlos laufen oder Fahrrad fahren.

Und bevor sie selber fahren konnte, hatte ich sie natürlich im Kindersitz dabei. Auf kurzen Strecken hat das gut funktioniert, für längere Zeit fand sie das eher doof (immerhin längst nicht so schlimm wie im Auto für mehr als drei Minuten angeschnallt sein). Die erste gemeinsame Radtour haben wir mit Tandem gemacht. Das fand Lisa (damals 8) dann auch gut. Für Radtouren, z. B. am Wochenende oder auch in den Ferien, hat sich das Pino inzwischen sehr bewährt. Da braucht man sich keine Sorgen machen, dass Kind auf dem Weg aus der Stadt raus überfahren wird und es gehen auch mal etwas längere Touren ohne Gejammer.

Wird das Fahrrad in Deiner Heimatstadt als Transportmittel akzeptiert? Was ärgert Dich?

Hier in Stuttgart sind Fahrräder als Transportmittel nicht vorgesehen. Fahrradwege gibt es bestenfalls an Stellen wo sie völlig nutzlos sind und insgesamt ist es gar nicht so einfach, sicher und zügig durch die Stadt zu kommen. Vor allem für Kinder ist es an vielen Stellen wirklich gefährlich. Damit Kinder wirklich problemlos Rad fahren können, muss man sie eigentlich erst mal mitsamt Fahrrad zu einem der (durchaus zahlreichen) Parks oder aus der Stadt raus bringen.

Bist Du mit Deiner Transportmittelwahl zufrieden? Fehlt Dir ein Auto? Wenn ja, in welchen Situationen?

Voll und ganz. Gefehlt hat mir ein Auto noch nie. Die wenigen Male, die ich wirklich eines brauchte, habe ich eines gemietet oder von Freunden geliehen (ca. fünf Mal beim Kauf neuer Möbel).

Das Interview führte Stefan Buballa.

Interview mit Sylvie Barbalat

Sylvie Barbalat (43) ist Biologin, liebt die Natur (vor allem Insekten), Teddybären und »tarte tatin« (eine französische Apfeltorte).

Wieviele Menschen leben in deiner Familie? Welches Alter haben sie?

Wir sind zu viert. Meine Kinder sind momentan 8 und 12 Jahre alt.

Wo wohnst Du? Bitte beschreibe ein bisschen deine Stadt!

Wir leben in Neuchâtel, einer Stadt die in der Westschweiz am Fuße des Jura und am Ufer des gleichnamigen Sees liegt. Es ist eine kleine Stadt von 32.000 Einwohnern.

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Bild 3: Blick von oben auf Neuchâtel
Von: Sylvie Barbalat

Was sind deine alltäglichen Transportbedürfnisse?

Wir leben am Stadtrand, aber da die Stadt klein ist, brauchen wir nur 15 Minuten zu Fuß (6 Minuten per Bus) zum Bahnhof und 20 Minuten zu Fuß (10 Minuten per Bus) ins Stadtzentrum. Um zu meinem Arbeitsplatz, der in der Nähe des Bahnhofs liegt, zu gelangen, nutze ich den Bus. In der Regel bin ich in Eile. Manchmal gehe ich auch zu Fuß. Die Kinder fahren zur Schule, die im Stadtzentrum gelegen ist, per Bus. Mein Ehemann arbeitet in Bern und fährt mit dem Zug (40 Minuten). Manchmal habe ich Termine außerhalb von Neuchâtel, zu denen ich ebenfalls per Zug anreise.

Welche Transportmittel benutzt Du und wie oft? Wie war das damals, als deine Tochter kleiner war? Hattest Du jemals ein Auto?

Ein Auto hatten wir nie. Auch als die Kinder klein waren, hat uns das nicht gestört. Man muss einfach die Menge der Sachen, die man mitnimmt, anpassen. Ein Großteil der Leute, die ein Auto haben, transportieren oft viel mehr Sachen als nötig. Wenn wir zum Beispiel eingeladen waren, konnten wir kein faltbares Kinderbett oder einen Babystuhl mitnehmen. Die Kinder schliefen dann halt auf dem Boden auf einer Decke oder eben in einem normalen Bett. Zum Essen nahmen wir sie auf den Schoß. Das war nie ein Problem.

Da es nicht leicht ist, ein Kind zu tragen, wenn man mit Einkäufen beladen ist und es auch nicht so einfach ist, einen Kinderwagen mit in den Bus zu nehmen, konnten unsere Kinder sehr früh laufen.

Wird das Fahrrad in Deiner Heimatstadt als Transportmittel akzeptiert? Was ärgert Dich?

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Bild 4: Steile, verkehrsreiche Strassen in Neuchâtel
Von: Sylvie Barbalat

Bevor wir Kinder hatten, legten wir alle Strecken per Rad zurück. Im Alltags ist unsere Stadt gar nicht für die Nutzung des Fahrrads geeignet, da sie sehr hügelig ist. Auch hat sie enge Straßen mit viel Verkehr und wenig Radwegen. Diese Steigungen dann mit Kindersitz oder Anhänger hochzufahren ist wirklich anstrengend. Auch schien mir angesichts der Enge der Straßen und der Wahrscheinlichkeit von Problemen (das Gleichgewicht ist z. B. mit Kind schwieriger zu halten) Fahrradfahren in der Stadt zu gefährlich. So haben wir denn unser Verkehrsmittel gewechselt und fahren Bus. Die Fahrräder nutzten wir seitdem fast gar nicht mehr. Manchmal machen wir Ausflüge am Seeufer, wo man im Sommer gratis Räder leihen kann. Dieses System ist praktischer und weniger gefährlich, als die Stadt auf den eigenen Rädern zu durchqueren.

Das Fahrrad wird einigermaßen als Verkehrsmittel akzeptiert. Die meisten Autofahrer respektieren Fahrradfahrer. Aber es gibt auf Grund der oben genannten schwierigen Bedingungen wenig Radler und einige Autofahrer hätten die Straße am liebsten für sich alleine.

Bist Du mit Deiner Transportmittelwahl zufrieden? Fehlt Dir ein Auto? Wenn ja, in welchen Situationen?

Unsere Entscheidung passt perfekt zu unseren Mobilitäts-Bedürfnissen. Natürlich setzt diese Wahl voraus, dass wir in einer Stadt mir guten öffentlichen Verkehrsmitteln wohnen. Neuchâtel ist eine sehr angenehme Stadt mit gutem Nahverkehrsangebot. Man kann rasch »rausfahren« und wir haben daher nie das Gefühl gehabt, »aufs Land« ziehen zu müssen. Seit 3 bis 4 Jahren sind wir Mitglied in einer Car-Sharing-Genossenschaft. Aber da wir uns derart an öffentliche Verkehrsmittel gewöhnt haben, nutzen wir deren Angebot nur sehr selten.

Das Interview führte und übersetzte aus dem Französischen Stefan Buballa.